Es gibt wohl kaum ein Land auf der Welt, bei denen die Meinungen der Reisenden so weit auseinander driften wie Indien. Schmutz auf den Straßen, Müll in den Flüssen der Städte, Berge von Abfall an den Stadträndern. Armut geht Hand in Hand mit bettelnden Kindern und Gerüchen, die bestenfalls als interessant zu bezeichnen sind. Das tägliche Chaos sowie der Lärm von hupenden Autos und laut für ihre Waren werbenden Verkäufern wirkt für viele Urlauber abschreckend. Ich kann jeden verstehen, dem es so geht. Ich kann nachvollziehen, wenn Besucher des Landes von der anmutenden Eleganz des Taj Mahal träumen und bereits am Flughafen in Bombay am liebsten Kehrt machen würden. Bei mir war es anders. Kehrt machen wollte ich nur auf dem Rollfeld auf dem Weg zur Maschine von Qatar Airways, die mich über das gleichnamige arabische Emirat wieder sicher zum Flughafen Frankfurt geleiten sollte. Zu kraftvoll waren die Erlebnisse, zu nah die Eindrücke, als dass ich akzeptieren wollte, dass sich die Zeit wie ein Schleier über die Erinnerungen daran legen würde. Doch nun von Anfang an.
Wer zum ersten Mal aus einem indischen Flughafengebäude auf die Straße entlassen wird, wird zumindest ein bisschen schockiert sein von den vielen Menschen, die scheinbar ohne Gefühl für eine natürliche Distanz, dafür mit eingebauten Ohropax auf die gekommen zu sein scheinen. Ich kam in Delhi an, bin mir allerdings sicher, dass der Eindruck in Bombay oder Kolkata nicht wesentlich anders sein wird. Auf dem Weg vom Flughafen in die Gegend, in der ich mir ein Hostel suchen wollte, wünschte ich mir jemanden, der die StVO mit aller Macht durchsetzen würde. Ich wollte raus, bis ich es, am Ziel angekommen, endlich durfte. Dann wollte ich nicht mehr. Unmöglich schien auf einmal das Vorhaben, mir in dieser Gegend ein Hostel zu suchen. Wenn ich mich nicht an einem der vielen Kabel über den Straßen strangulieren würde, wäre ein Rudel streunender Hunde mein Ende. Oder eben ihr größter Feind: Autos, deren Gefahrenabwehr Hupe heißt, während ich in der Fahrschule gelernt hatte, dass die Bremse diese Funktion übernehmen sollte. Überraschenderweise gelang es mir dennoch, das Royal Guest House in Paharganj ausfindig zu machen. Die erste Hürde war genommen. Was folgte, war eine Reise, an die ich mich noch erinnern werde, wenn Indien längst wirtschaftlich aufgeschlossen haben wird. Wenn keine Kleiderbügel mehr den Strom der wild gekreuzten Kabel abzweigen. Eine kurze Verschnaufpause war nötig, um die Umwelt mit anderen Augen wahrzunehmen. Nach einem Mittagsschlaf ging ich vor die Tür und ließ die Eindrücke auf mich wirken: Fremde Gerüche kamen aus den Häusern und den kleinen Essensständen an der Straße. Männer gingen Arm in Arm oder gar Händchen haltend durch die Straßen und Tiere gehörten wie selbstverständlich zum Straßenbild. Kuhen werden wieder aus den Läden gedrückt, obwohl sie den Hindus heilig sind, Hunde bellen den knatternden Rikshaws hinterher und die Katzen ahmen die eleganten Bewegungen der indischen Frauen nach. Der Tee schmeckt so gut wie nirgendwo sonst auf der Welt, gleiches gilt nach meinem Geschmack für das scharfe oder süße Essen der Inder.
Delhi selbst hat viele Sehenswürdigkeiten, die ich nun kennenlernen wollte. Die Jama Masjid Moschee etwa bietet Platz für 20.000 Menschen und gehört zu den beeindruckendsten Bauwerken, die ich in meinem Leben gesehen hatte. Zwar sehr klein, aber dafür nicht weniger lohnend, ist das Gandhi Museum. Wer sich ein wenig mit dem Werk des gewaltlosen Widerständlers auseinandergesetzt hat, wird mir Recht geben, dass eine pompöse Erinnerungsstätte fehl am Platz gewesen wäre. An diesem Ort lebte der ruhige Revolutionär während seiner letzten Jahre, sein letzter Fußmarsch in den Garten ist mit Fußabdrücken nachgestellt. Nach dem letzten Fußabdruck fiel der Schuss, der den Volkshelden und Vater der indischen Nation zu Tode brachte. Sogar die originale Brille ist ausgestellt und es wirkt fast, als würde man dem Mahatma leibhaftig ins Gesicht sehen.
Doch die Reise ging weiter, für Indien und nun auch für mich. Die Stadt Agra ist kein Ort, den ich wieder besuchen müsste, aber für die Ästhetik des Taj Mahal hat sich der Ausflug gelohnt. Man kann Hunderte Fotos gesehen haben, der Spiegel des Sonnenaufgangs in den Mosaiken der Kuppel ist unvorstellbar.
Nicht vorstellen können sich die wenigsten auch das tägliche Treiben in der Stadt Varanasi, von den meisten Indern Benares genannt. Der Fluss Ganges wird hier als Gott Ganga verehrt, der unsäglichen Verschmutzung, der er ausgesetzt wird, zum Trotz. Ich kam im Morgengrauen an und musste zunächst meinen Weg zu einem kleinen Hostel finden. Das River View kostet fast gar nichts und besticht mit einem traumhaften ... River View eben. Das Essen der Familie ist hervorragend und das Fehlen von heißem Wasser aus dem Hahn wird durch das morgendliche Bereitstellen eines Eimers mit heißem Wasser kompensiert. Das Leben am Fluss hinterlässt einen tiefen Eindruck beim Betrachter, sei es das tägliche Waschen der Kleidung, die rituelle Reinigung der Menschen oder das Klatschen der nassen Wäsche auf den Steinen im Fluss jeden Morgen. Die schwimmenden Lichter auf dem Fluss, die den am Ufer verbrannten Toten gedenken, bleiben im Gedächtnis als fremd und doch intim. Genau das war es, was mich dem Land so nahe gebracht hat. Die Gesellschaft, Traditionen und Lebensweisen sind fremder als alles, was ich zuvor gesehen hatte. Dennoch kam ich mit der Zeit aus der Rolle des interessierten Beobachters heraus und wurde teil von dem, was ich sah. Sobald der Moment gekommen ist, wirkt die Abreise aus diesem Land wie eine Drohung. Die Plakate des indischen Tourismusministeriums werben seit Jahren mit dem Slogan „Incredible !ndia“.
Indien ist wahrhaftig unglaublich. Man muss wohl einfach daran glauben. Ich würde jederzeit wieder in einen selbstorganisierten Urlaub in Indien machen!
Delhi
Anonym
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