Aufgeregt schaute ich aus dem Fenster. Durch den knarrenden Lautsprecher hatte uns der Pilot auf das bevorstehende Erlebnis hingewiesen. Und da war er tatsächlich! Wunderschön! Und wie immer mit einem Nebelring um seine Spitze. Bewundernd schaute ich auf Pico. Pico ist nicht nur der höchste Berg Portugals, er gilt auch als erotischster Berg. Seine Form gleicht einer weiblichen Brust. Gierig sog ich den Blick in mich auf. Nächste Woche würde ich ihn besteigen. Nächste Woche würde ich den Flugzeugen von der Bergspitze aus zuwinken. Mit einem Lächeln lehnte ich mich behaglich im Sitz zurück. Vor mir lag jetzt erst einmal eine Woche wandern auf Flores, der Blumeninsel der Azoren.
Nach einer erholsamen Nacht in dem ehemaligen Geisterdorf Cuada, das zu einer Ferienlage mit ursprünglichen Natursteinhäusern ausgebaut wurde, wollte ich zu meiner ersten Wanderung aufbrechen. Jeder Reiseführer schwärmt von der Wanderung von Ponta Delgada nach Faja Grande, die eine der schönsten Wanderrouten der Azoren sein soll. Bei meiner Azoren Rundreise durfte sie deshalb nicht fehlen. Die Chefin der Anlage rief mir ein Taxi, das mich zum Leuchtturm nach Ponta Delgada bringen sollte. Von dort wollte ich mit meiner ca. dreistündigen Tour beginnen.
Einsam, fast als sei es das Ende der Welt, lag der Leuchtturm auf einer Inselspitze. Ich packte meinen Rucksack und wollte aussteigen, doch der Fahrer ließ den Leuchtturm rechts liegen und fuhr einfach weiter. Wild gestikulierend versuchte ich den Taxifahrer zum Anhalten zu zwingen. Doch er schien mich nicht zu verstehen. Unentwegt redete er auf portugiesisch auf mich ein.
Ich verfluchte meine Faulheit. Eigentlich wollte ich wenigstens 100 Wörter portugisiesch lernen. Eigentlich! Es war beim eigentlich geblieben. Mehr als Bom dia und obrigada brachte ich kaum zusammen. Auf die Wanderung habe ich mich schon seit Wochen gefreut. Sollte ich darauf verzichten müssen, nur weil der Taxifahrer mich nicht verstand?
Wütend rief ich: "Stopp!"
Abrupt hielt der Fahrer und ich kippte nach vorn. Mühsam rappelte ich mich hoch. Der Fahrer stieg aus und half mir beim Aussteigen und beim Aufsetzen des Rucksacks. Er zog den Riemen fest. Dann zeigte er auf die rotgelbe Wegmarkierung am rechten Mauerrand. Es war der Einstieg in den Wanderweg. Insgeheim bat ich um Verzeihung. Der Fahrer schien doch zu wissen, was er tat. Er winkte mir noch einmal zum Abschied zu, ehe er hinter der Biegung verschwand.
Entlang einer kleinen Mauer ging es in einem ausgetrockneten Bachbett hoch zum Platteau. Überwältigt blieb ich stehen. Ich fühlte mich wie in eine verzauberte Feenwelt versetzt. Knorrige kleine Bäume, verwitterte mit Moos bewachsene Felsmauern und viel Phantasie ließen in meinem Kopf die tollsten Geschichten entstehen. Ich hätte stundenlang auf dem Stein sitzen und träumen können. Leider musste ich weiter. Ich überquerte kleine Bäche und Weiden und passierte irgendwann den westlichsten Punkt Europas, bis ich zu einem schmalen Weg kam, der direkt an der Steilküste entlang führte. Die Aussicht war gigantisch und lässt sich nicht mit Worten beschreiben. Immer wieder hielt ich an, um alles aufnehmen zu können. Gefühlte tausend Fotos habe ich geknipst. Doch keines kann die einmalige Schönheit wiedergeben.
Viel zu schnell war die Wanderung zu Ende. In Faja Grande wartete bereits mein Taxi. Als der Fahrer meine strahlenden Augen sah, nickte er nur wissend.
Nina Nett
Fajã Grande
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